Ralf Gnosa freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler


Direkt zum Seiteninhalt

Sara Teasdale: Wisdom - Weisheit

Sara Teasdale (1884-1933) - Wisdom

It was a night of early spring,
The winter-sleep was scarcely broken;
Around us shadows and the wind
Listened for what was never spoken.

Though half a score of years are gone,
Spring comes as sharply now as then -
But if we had it all to do
It would be done the same again.

It was a spring that never came;
But we have lived enough to know
That what we never have, remains;
It is the things we have that go.

Sara Teasdale - Weisheit

Es war einst eine Frühlingsnacht,
Der Winterschlaf war kaum gebrochen;
Um uns die Schatten und der Wind
Lauschten dem, was nie gesprochen.

Und gingen nun auch Jahre hin,
Der Frühling stellt sich pünktlich ein -
Doch hätten wieder wir's zu tun,
Es würde stets dasselbe sein.

Es war ein Frühling, der nie kam;
Doch mit den Jahren stellt man fest,
Daß uns das nie Besessne bleibt
Und was wir haben, uns verläßt.


Sara Teasdale scheint in Deutschland nicht viel Aufmerksamkeit gefunden zu haben; ich kenne nur je zwei Nachdichtungen von Toni Harten-Hoencke (1872-nach 1943) und Georg von der Vring (1889-1968). Im englischen Sprachraum scheint das ganz anders zu sein.
Mit leisem Erschrecken stelle ich gerade fest, daß nach über 40 Gedichten mit ihr die erste Dame in meine kleine Anthologie Einzug hält. Sara Teasdale jedenfalls ist sicher nicht dem Vorwurf ausgesetzt, "Quotenfrau" zu sein - denn ihre Dichtung ist, salopp formuliert, definitiv erste Liga (N.B.: Im übrigen habe ich Gedichte weiterer Lyrikerinnen in Arbeit, die aber noch nicht fertig gediehen sind, u.a. von Christina Georgina Rossetti, Elinor Wylie, Louise Bogan... insofern bildet diese Auswahl ohnehin nur einen zufälligen Zwischenzustand ab). Ich bin davon überzeugt, daß dieses Gedicht nicht meine letzte Teasdale-Nachdichtung bleiben wird.
Ihre so schlichten, liedhaften Gedichte sind Produkte höchster, feinster Kultur. Mir scheint gerade darin die besondere Schwierigkeit ihrer Nachdichtung zu liegen.
Teasdale hat dichterisch früh begonnen. Eine Beziehung zu dem Dichter Vachel Lindsay (1879-1931), der sie sehr verehrte, kam nicht zustande; sie heiratete stattdessen einen Geschäftsmann, der ihr mehr Sicherheit bot. Wer Biographismen mag, mag im vorliegenden Gedicht eine Reminiszenz an die Lindsay-Episode sehen; unwahrscheinlich ist es nicht. Dennoch scheint die eingegangene Ehe anfangs keineswegs unglücklich gewesen zu sein, die aber letztlich 1929 mit der Scheidung endete. 1917 hat sie eine Anthologie mit Frauenlyrik herausgegeben (gelegentlich liest man, dies sei die erste Anthologie dieser Art, was Unsinn ist - auf Anhieb fallen mir Julia Virginia (1906) und Margarete Huch (1911) als frühere Beispiele ein...).
Das was Teasdales Verse auszeichnet, ihre Fragilität, ihre leise, resignative Melancholie, ihre Distanz zur Mitwelt, eine immer mitschwingende tiefe, innerliche Einsamkeit, das scheint auch für die Person hinter den Gedichten zu gelten, die sich mehr und mehr zurückzog. Hinzu kamen eine äußerst labile Gesundheit und Phasen der Depression. Vachel Lindsays Selbstmord im Dezember 1931 soll sie tief erschüttert haben. Selbst langsam von einer schweren Lungenentzündung genesend, beging sie 1933 mit Schlaftabletten Selbstmord.
Die so schlicht und liedhaft daherkommenden Gedichte Teasdales sind tatsächlich höchst artifiziell. Eben dies ist für den Nachdichter keine kleine Schwiergkeit. Es gilt die Leichtigkeit zu erhalten, ohne simplifizierend, banal, platt zu werden. Dem hohen Grad an Musikalität und Emotionalität steht ein ambitionierter, ernsthafter und sehr intellektuell-bewußter Kunstwille zur Seite. Von Naivität trennen Teasdale, die alles andere ist als ein schlichtes Naturtalent, Welten.
Was ich über Teasdale lese und was ich von ihr lese, erweckt eine tiefe Sympathie und den Wunsch, ihr die Hand zu reichen. Dies geschieht nun immerhin in Form einer Nachdichtung.
Daß ich den Erfordernissen des Originals völlig gerecht geworden wäre, glaube ich nicht. Vers 7 etwa ist recht unschön, scheint mir freilich auch schon im Original der schwächste Vers des Gedichts zu sein. Vers 10 ist recht frei, aber m.E. ziemlich angemessen wiedergegeben. Die beiden wunderschönen Schlußverse dürften bestmöglich wiedergegeben sein; hinter dem unglaublich schönen Original müssen sie wohl unweigerlich zurückbleiben, ergeben aber auch im Deutschen m.E. eine gültige Prägung. Ich hatte andere Erwägungen, etwa in Vers 10: "Doch mit den Jahren man versteht" und dann im Schlußvers u.a.: "Und was wir haben, von uns geht", aber das ist definitiv holpriger.
Diese Schlußverse enthalten vielleicht Essentielles über ihre Verfasserin, ihre Lebensphilosophie, ihre Grundhaltung gegenüber dem Leben: eine große Distanz zu diesem, eine Scheu vor der Realität, der das Potentielle als die reinere und vor allem unverlierbarere Realität entgegengestellt wird. So fragwürdig diese Betrachtungsweise in mancher Hinsicht auch sein mag - völlig von der Hand zu weisen ist sie nicht.
Bisher kenne ich nur eine kleine Zahl an Gedichten Teasdales aus Anthologien, aber hier gilt: "to be continued." Ihr "Night Song at Amalfi" ist seit langem in Arbeit, entzieht sich aber bisher einer angemessenen Nachgestaltung in deutscher Sprache; irgendwann wird es hoffentlich gelingen...


Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü