Ralf Gnosa freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler


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Wilfrid Scawen Blunt: The desolate city - Die verödete Stadt

Wilfrid Scawen Blunt (1840-1922): The desolate city

Dark to me is the earth. Dark to me are the heavens.
---Where is she that I loved, the woman with eyes like stars?
Desolate are the streets. Desolate is the city.
---A city taken by storm, where none are left but the slain.

Sadly I rose at dawn, undid the latch of my shutters,
---Thinking to let in light, but I only let in love.
Birds in the boughs were awake; I listened to their chaunting;
---Each one sang to his love, only I was alone.

This, I said in my heart, is the hour of life and of pleasure.
---Now each creature on earth has his joy, and lives in the sun,
Each in another's eyes finds light, the light of compassion,
---This is the moment of pity, this is the moment of love.

Speak, O desolate city! Speak, O silence in sadness!
---Where is she that I loved in my strength, that spoke to my soul?
Where are those passionate eyes that appeal'd to my eyes in
_______________________________________________/passion?
---Where is the mouth that kiss'd me, the breast I laid to my own?

Groping I went, as blind. I sought her house, my belovèd's.
---There I stopp'd at the silent door, and listen'd and tried the latch.
Love, I cried, dost thou slumber? This is no hour for slumber,
---This is the hour of love, and love I bring in my hand.

I knew the house, with its windows barr'd, and its leafless figtree,
---Climbing round by the doorstep, the only one in the street;
I knew where my hope had climb'd to its goal and there encircled
---All that those desolate walls once held, my belovèd's heart.

There in my grief she consoled me. She loved me when I loved not.
---She put her hand in my hand, and set her lips to my lips.
She told me all her pain and show'd me all her trouble.
---I, like a fool, scarce heard, hardly return'd her kiss.

Weeping strangled my voice. I call'd out, but none answer'd;
---Blindly the windows gazed back at me, dumbly the door;
She whom I love, who loved me, look'd not on my yearning,
---Gave me no more her hands to kiss, show'd me no more her soul.

Therefore the earth is dark to me, the sunlight blackness,
---Therefore I go in tears and alone, by night and day;
Therefore I find no love in heaven, no light, no beauty,
---A heaven taken by storm, where none are left but the slain!

Wilfrid Scawen Blunt - Die verödete Stadt

Dunkel ist mir die Welt. Dunkel sind mir die Himmel.
---Wo ist, die ich geliebt, die Frau mit dem Sternenaug?
Öd und leer ist die Stadt. Öd und leer sind die Straßen.
---Ein Ort, vom Sturme verheert, nur Tote blieben zurück.

Morgens erhob ich mich trüb, die Fensterläden aufstoßend,
---Einzulassen das Licht, doch ein ließ ich Liebe nur.
Vögel, erwacht im Geäst, - ich lauschte ihren Liedern -
---Sangen all ihrem Lieb, einzig ich war allein.

Dies, so sprach ich bei mir, ist die Stunde des Lebens, der Freude,
---Jedes Wesen der Welt lebt sonnenbeschienen im Glück,
Findet in anderen Augen Licht, das Licht des Verstehens,
---Dies ist die Zeit des Erbarmens, dies ist der Liebe Zeit.

Sprich, o verödete Stadt! Sprich, o Schweigen in Schwermut!
---Wo ist, die ich geliebt so sehr, die zur Seele mir sprach?
Wo ist der Leidenschaft Blick, der in Leidenschaft meinen kreuzte?
---Wo ist der Mund, der mich küßte, die Brust, an meine geschmiegt?


Tastend ging ich, wie blind. Ich suchte das Haus der Geliebten.
---Dort hielt ich an schweigender Tür und lauschte und faßte den Knauf.
Liebste, rief ich, schläfst du? Jetzt ist nicht Schlafes Stunde.
---Jetzt ist der Liebe Stunde, Liebe bringt meine Hand.

Das Haus, die Fenster versperrt, erkannt ich, den Feigenbaum blattlos,
---Wachsend empor an der Stiege, der einzige dort seiner Art;
Erkannte, wo einst ihrem Ziel meine Hoffnung zuwuchs, umschließend
---Dort, was verödete Mauern einst bargen: der Liebsten Herz.

Dort gab im Kummer sie Trost mir. Sie liebte, als ich nicht liebte.
---Sie gab in meine die Hand, schmiegt' ihren an meinen Mund,
Sprach von all ihrem Schmerz und zeigte mir all ihre Sorgen.
---Ich, ein Narr, hörte kaum, kaum erwidernd den Kuß.

Schluchzen stickt' mir die Stimme. Ich rief, doch blieb ohne Antwort;
---Blind die Fenster und stumm starrte die Tür mich an;
Die ich geliebt, die mich liebte, sah nicht mehr meine Sehnsucht,
---Bot nicht die Hände zum Kuß, enthüllte die Seele nicht mehr.

Drum ist die Welt mir dunkel, ist mir Sonnenlicht Schwärze,
---Drum geh in Tränen einsam ich stets bei Tag und bei Nacht;
Drum keine Liebe birgt mir der Himmel, kein Licht, keine Schönheit,
---Ein Himmel, vom Sturme verheert, nur Tote blieben zurück!


Ob je ein Gedicht von Wilfrid Scawen Blunt auf Deutsch erschienen ist, weiß ich nicht. Sicher zählt er nicht zu den Dichtern, die im Ausland stark rezipiert wurden und im Pantheon der englischen Lyrik scheint man ihm auch eher einen bescheidenen Winkel einzuräumen. Blunt, der eine Enkelin von Lord Byron ehelichte, war zunächst Diplomat, ist viel gereist, vor allem in der islamischen Welt, züchtete als Pferdezüchter Araber - und er hat den englischen Imperialismus zeitlebens sehr kritisch betrachtet, was ihm manche Schwierigkeiten eintrug (bis hin zu einer Gefängnisstrafe); seine Sympathien galten den Arabern, den Buren, den Iren... T. Earle Welby schreibt lapidar über ihn: "to have married Byron's granddaughter, bred Arab horses, and been admired by Henley and George Wyndham is to have made a great deal of life."
Darüber sollte man seine Lyrik nicht vergessen, neben beachtlichen Sonetten ragt "The desolate city" heraus. Langen Gedichten gegenüber ist oft Skepsis angebracht; Blunt jedoch füllt die neun Strophen mit ihren jeweils vier Langversen mit Mittelzäsur so, daß die Verse den Leser immer weiter mittragen. Ihr daktylisch geprägter Rhythmus (bei Füllungsfreiheit in den Senkungen) und die erwähnte Mittelzäsur verleihen den Versen eine starke Dynamik: der Ton der Klage wird dadurch nie larmoyant; im Gegenteil: das individuelle Liebesleid, das so leicht schmachtend oder sentimental werden kann, erfährt im Bild der verödeten Stadt eine geradezu kosmische Ausweitung von großer visionärer Kraft. Sehend geht man mit dem lyrischen Ich dieser Verse durch die entvölkerte Stadt, Blunt läßt den Leser nicht nur nach- oder mitempfinden, er läßt ihn sehen und hören. Es geschieht dabei eigentlich nicht viel, es handelt sich um ein im Grunde stark reflexives Gedicht: eine Liebesbeziehung wird erinnernd rekapituliert, die verödete Gegenwart wird mit Beschreibungen der Vergangenheit kontrastiert, auch mit der kreatürlichen Freude in der natürlichen Umwelt, insofern variieren die neun Strophen eigentlich nur permanent ihr Thema. Aber man bleibt immer im Bann dieser Verse - das ist das, was Peter Pütz so schön treffend die "Leistung der Form" genannt hat!
Spinne ich, wenn die Dynamik dieser Langverse mich an den kraftvollen Nibelungen-Vers erinnert, der freilich nicht daktylisch ist? Vermutlich ja, zumindest ein wenig; aber beide Verse erweisen eine Lebenskraft, die sie vielleicht für ein modernes Versepos prädestinieren könnte? An dieser Aufgabe ist unser Zeitalter bislang weitgehend gescheitert, vielleicht birgt es auch nicht die individuellen Begabungen für diese schwere Aufgabe; verstechnisch scheinen mir hier jedoch Wege eröffnet.
Zunächst habe ich mich kaum an dieses Gedicht heranwagen wollen - der Länge wegen. Die Reimlosigkeit immerhin erleichtert hier die nachdichterische Arbeit zwar etwas, aber es stellt sich immer die Frage, ob über so weite Strecken die dichterische Spannung zu halten ist. Blunt hält sie ohne Zweifel. Ich hoffe und glaube, daß dies auch in der Nachdichtung weitgehend gelungen ist. Vielleicht traue ich mich nun auch wieder an Robert Brownings "Porphyria's Lover"...
Wenn einen ein Gedicht über neun vierzeilige Strophen in Langversen trägt, dann ist das jedenfalls ein Geschenk, das einem sehr, sehr selten gemacht wird...
Danke, Mr. Blunt!


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